Am Sat, 6 Feb 2021 08:26:41 -0800 (PST)
Post by GanzhinterseherAm einfachsten und klarsten ist die Aussage zu den geraden Zahlen zu
formulieren: Es gibt genau halb so viele gerade natürliche Zahlen wie
natürlichen Zahlen. Also ist eine Bijektion ausgeschlossen -
jedenfalls nach der naiven Definition, wonach genau ein Tänzer genau
eine Tänzerin hat und umgekehrt und kein Tänzer und keine Tänzerin
übrigbleiben.
Am einfachsten und klarsten finden die natürlichen Tänzer jeweils eine
eigene gerade Tänzerin, indem sie das Set cleverer, aber dennoch naiver
Münzen benutzen, auf deren einen (und zwar blauen) Seite eine natürliche
Zahl und auf deren roten Rückseite das Doppelte dieser Zahl steht. Dazu
greift sich jeder Tänzer die Münze, auf deren blauen Seite seine eigene
Nummer steht. (Alle Tänzer haben eine eindeutige, mit blauer Leuchtfarbe
auf ihr Trikot geschriebene natürliche Zahl stehen.) Dann dreht er die
Münze um und fordert die Tänzerin mit der in roter Leuchtfarbe auf ihr
Kleid geschriebenen (geraden) Nummer auf, die er auf der anderen (roten)
Seite seiner Münze findet. Nach einem ersten Tänzchen sind die Männer
müde und gehen von der Tanzfläche. Die Tänzerinnen haben aber noch nicht
genug und wollen noch einer Runde mit demselben Partner. Wegen der etwas
schummrigen Beleuchtung können sie die Gesichter ihrer Tanzpartner nicht
genau erkennen. Sie entdecken aber die achtlos auf dem Boden
zurückgelassenen Münzen. Jede Tänzerin hebt diejenige Münze auf, die
ihre eigene Zahl zeigt. Einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken,
dass alle Münzen mit der roten Seite nach oben auf dem Boden liegen.
Das Umdrehen und Betrachten der blauen Seite führt zunächst zu etwas
Verwirrung, denn die Hälfte der Tänzerinnen sehen nun plötzlich die
ihnen unbekannten ungeraden Zahlen auftauchen. Die Verwirrung hält aber
nur kurz an und eilig greifen sich die Tänzerinnen jeweils den Partner
mit der entsprechenden blauen Nummer. Die Musik setzt ein und der Tanz
beginnt von neuem.
Um wie viele Tänzerinnen, Tänzer und Münzen es sich in dieser Geschichte
gehandelt hat, ist nicht überliefert. Manche munkeln, es mögen sogar
unendlich viele gewesen sein. Bekannt ist nur, dass jeder Tänzer genau
zweimal getanzt hat, und zwar jeweils mit derselben Tänzerin. Auch diese
haben genau zweimal getanzt und dabei ebensowenig den Partner gewechselt
(letzeres soll angeblich schon aus den Angaben davor folgen). Manche
meinen daraus schließen zu können, dass es genauso viele Tänzer wie
Tänzerinnen gegeben haben muss. Andere bezweifeln das, sie meinen, man
könne das nicht sagen, weil sich die Damen ja auch hätten absprechen
und wegen der Abwechslung statt den Tänzer mit der korrekten Zahl auch
den mit der Zahl eins drüber hätten auffordern können. Sollte es dann
eine Tänzerin geben, die nur einmal getanzt hat, weil sie keinen Partner
mehr finden konnte, dann ließe sich die Gesamtzahl der Tänzerinnen und
Tänzer ganz leicht auf dem Kleid eben dieser Dame ablesen, wenn es aber
keine solche Tänzerin gab, dann muss es offenbar weniger Tänzer als
Tänzerinnen gegeben haben, denn der Tänzer 1 hätte keine Partnerin im
zweiten Tanz gehabt. Einig waren sich aber alle, dass dieser Fall nur
hätte eintreten können, wenn es jweils unendlich viele Tänzer und
Tänzerinnen gegeben hat. Es ist übrigens nichts darüber bekannt, dass
beim Umdrehen der Münzen unter diesen Zuwächse oder Verluste zu
verzeichnen gewesen wären. Man könne durch ihre schiere Existenz daraus
schließen, so meinen einige Verwegene, dass die cleveren Münzen damit
beweisen würden, dass sie die natürlichen und die geraden Zahlen in eine
sogenannte Bijektion bringen könnten. Auch den Einwand mancher
Kleingläubigen, die sagen, dass nach dem Umdrehen einer jeden Münze es
ja immer noch unendlich viele nicht umgedrehte Münzen gibt, lassen sie
nicht gelten, da das Umdrehen quasi instantan vonstatten gegangen sein
kann, da niemand auf irgend etwas gewartet hat, bevor er oder sie die
eigene Münze umgedreht hat. Man zeigte sich sogar verwundert darüber,
wie man etwa auf die Idee kommen könnte, eine Münze nach der anderen
umdrehen zu müssen, schließlich sollte das Umdrehen der einen Münze
keine Auswirkungen darauf haben, welche Zahl sich beim Umdrehen einer
anderen Münze zeigen würde. Eine Münze war übrigens etwas zerkratzt und
ihre rote Seite war im Dunkeln nicht zu erkennen. Nein, auch im hellen
war die Zahl nicht mehr identifizierbar. Niemand schloss daraus, dass es
diese Zahl nicht (mehr) gibt. Viele Tänzerinnen halfen mit, diese Zahl
wieder hinzuschreiben, sie konnten sie mit Hilfe der blauen Seite
reproduzieren. Jede der Helferinnen übernahm eine Ziffer. Alle waren
sich einig, dass es in jedem Fall nur endlich viele Helferinnen waren.
(Aus: Vom Hundertsten ins Tausendste)