Post by Ralf BaderDiese Menge [der nat. Zahlen] ist der Inbegriff aller natürlichen
Zahlen. Was ist daran schwierig?
Ich sage jetzt einfach mal: /aktuale Unendlichkeit/. (Mehr dazu weiter
unten).
Post by Ralf BaderDaß sich die Folge der natürlichen Zahlen immer weiter
fortsetzen läßt, ist eine Grundintuition.
Und hier: /potentielle Unendlichkeit/.
Und was Deine Frage betrifft, erst mal:
"Wenn man sich über den Ursprung des weitverbreiteten Vorurteils gegen
das aktuale Unendliche, des horror infiniti in der Mathematik volle
Rechenschaft geben will, so muß man vor allem den Gegensatz scharf ins
Auge fassen, der zwischen dem aktualen und dem potentialen Unendlichen
besteht. Während das potentiale Unendliche nichts anderes bedeutet als
eine unbestimmte, stets endlich bleibende, veränderliche Größe, die
Werte anzunehmen hat, welche entweder kleiner werden als jede noch so
kleine, oder größer werden als jede noch so große endliche Grenze,
bezieht sich das aktuale Unendliche auf ein in sich festes, konstantes
Quantum, das größer ist als jede endliche Größe derselben Art. So stellt
uns beispielsweise eine veränderliche Größe x, die nacheinander die
verschiedenen endlichen ganzen Zahlwerte 1, 2, 3, ..., n, ... anzunehmen
hat, ein potentiales Unendliches vor, wogegen die durch ein Gesetz
begrifflich durchaus bestimmte Menge (n) aller ganzen endlichen Zahlen n
das einfachste Beispiel eines aktual-unendlichen Quantums darbietet.
Die wesentliche Verschiedenheit, welche hiernach zwischen den Begriffen
des potentialen und aktualen Unendlichen besteht, hat es
merkwürdigerweise nicht verhindert, daß in der Entwicklung der neueren
Mathematik mehrfach Verwechslungen beider Ideen vorgekommen sind,
derart, daß in Fällen, wo nur ein potentiales Unendliches vorliegt,
fälschlich ein Aktual-Unendliches angenommen wird, oder daß umgekehrt
Begriffe, welche nur vom Gesichtspunkte des aktualen Unendlichen einen
Sinn haben, für ein potentiales Unendliches gehalten werden.
Beide Arten der Verwechselung müssen als Irrtümer betrachtet werden."
(G. Cantor, Gesammelte Anhandlungen, p. 409 f)
Und dem "aktual Unedlichen" in der Mathematik Geltung zu verschaffen,
WAR ein schwieriger Prozess:
"Cantor's work was well received by some of the prominent mathematicians
of his day, such as Richard Dedekind. But his willingness to regard
infinite sets as objects to be treated in much the same way as finite
sets was bitterly attacked by others, particularly Kronecker. There was
no objection to a 'potential infinity' in the form of an unending
process, but an 'actual infinity' in the form of a completed infinite
set was harder to accept."
(Herb Enderton, Elements of Set Theory)
Aber schließlich haben sich Cantors Ideen dann doch durchgesetzt:
"Will man in Kürze die neue Auffassung des Unendlichen, der Cantor
Eingang verschafft hat, charakterisieren, so könnte man wohl sagen: in
der Analysis haben wir es nur mit dem Unendlichkleinen und dem
Unendlichgroßen als Limesbegriff, als etwas Werdendem, Entstehendem,
Erzeugtem, d.h., wie man sagt, mit dem potentiell Unendlichen zu tun.
Aber das eigentlich Unendliche selbst ist dies nicht. Dieses haben wir
z.B., wenn wir die Gesamtheit der Zahlen 1,2,3,4, ... selbst als eine
fertige Einheit betrachten oder die Punkte einer Strecke als eine
Gesamtheit von Dingen ansehen, die fertig vorliegt. Diese Art des
Unendlichen wird als aktual unendlich bezeichnet."
(David Hilbert, Über das Unendliche, Math. Ann. 95 (1925) p. 167)
Und auf eben die oben angesprochenen Zusammenhänge wollte wohl auch CC
Post by Ralf BaderJa, aber dass diese "Folge" eine vernünftige "Menge", also ein
statisches Gebilde, bildet, ist ein Axiom der [Mengenlehre], das
nur auf sich selbst begründet eingeführt werden kann.
Und vermutlich bezieht er sich hier auf das Unendlichkeitsaxiom (->ZFC)
INF.
Post by Ralf BaderIch beziehe mich hinsichtlich der natürlichen Zahlen auf die Peano-Axiome.
Was das "statische Gebilde" anbetrifft: Welches "Axiom der Mathematik"
verlangt derartiges?
INF. (Entsprechend "interpretiert".)
Post by Ralf BaderIch weiß nicht, was man /mathematisch/ mit der Aussage
anfangen soll, irgendwas sei ein "statisches Gebilde".
Naja, Hilbert spricht oben von einer "fertigen Einheit". Ich denke *er*
wird schon gewusst haben, was er damit meint... Vermutlich dann doch
etwas "mathematisch Relevantes", würde ich sagen. (Oder vielmehr
"meta-mathematisch" Relevantes... ;-)
Post by Ralf BaderAuch die Behauptung, daß diese Folge eine Menge bilde, ist genau besehen
unzutreffend.
Gemeint ist wohl, dass SÄMTLICHE Elemente der "Folge" (also alle
natürlichen Zahlen) eine Menge (ein "fertiges Objekt") bilden.
Post by Ralf BaderDie "Menge der natürlichen Zahlen" ist ein keiner weiteren
Charakterisierung bedürftiges Abstraktum, das allein dadurch
gekennzeichnet ist, daß jede natürliche Zahl zu diesem Ab-
straktum in einer nicht näher spezifizierten Relation "ent-
halten in" steht
Na, na, na... Ich würde mal sagen, dass die Peano-Axiome dieses
_besondere_ Abstraktum (eben die Menge der natürlichen Zahlen) doch
einigermaßen charakterisieren... :-)
Tatsächlich wird ja /natürliche Zahl/ definiert als: ist Element von N
(oder im Rahmen der axiomatischen Mengelehre w).
Ja, ist mir schon klar... Du sprichts hier wohl eher über den
Mengenbegriff im allgemeinen...
Post by Ralf BaderDaß da gern zu einer Schachtel- und Sackmetaphorik gegriffen wird,
ist naheliegend, trifft die Sache aber nicht.
Bis zu einem gwissen Grad aber doch. Halmos verwendet z. B. an einer
Stelle das Bild von "Hutschachteln":
"Zur Warnung sei gesagt: eine Schachtel, die einen Hut
enthält und sonst nichts, ist nicht dasselbe wie ein
Hut [...]. Zwar hat die Analogie zwischen Mengen und
Hutschachteln viele schwache Stellen, dennoch ver-
mittelt sie zuweilen ein richtiges Bild der Tatsachen."
(Paul R. Halmos, Naive Mengenlehre)
Verzeih mir, dass ich doch eher geneigt bin Halmos Ansicht zu folgen,
als der von Dir geäußerten... :-)
K. H.
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