Discussion:
Polynom mit konjugiert komplexen Nullstellen?
(zu alt für eine Antwort)
Jürgen Will
2007-06-12 20:05:40 UTC
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Hallo,

gegeben sei ein beliebiges reelles Polynom P(z) mit reellen Koeffizienten
und
komplexen Argumenten z.
Nun ist, wenn eine Nullstelle nicht reell, aber komplex ist, auch die
Konjugiert Komplexe eine Nullstelle.
Gibt es ein Verfahren, mit dem man, ohne die Polynomgleichung P(z) =0 lösen
zu müssen, P(z) in ein, gegebenenfalls komplexes, Polynom, das nur die
konjugiert komplexen Nullstellen von P(z) als Nullstellen hat, umwandeln
kann?
Bin kein Mathematiker.
Joachim Mohr
2007-06-13 07:45:44 UTC
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Post by Jürgen Will
Hallo,
gegeben sei ein beliebiges reelles Polynom P(z) mit reellen Koeffizienten
und
komplexen Argumenten z.
Nun ist, wenn eine Nullstelle nicht reell, aber komplex ist, auch die
Konjugiert Komplexe eine Nullstelle.
Gibt es ein Verfahren, mit dem man, ohne die Polynomgleichung P(z) =0 lösen
zu müssen, P(z) in ein, gegebenenfalls komplexes, Polynom, das nur die
konjugiert komplexen Nullstellen von P(z) als Nullstellen hat, umwandeln
kann?
Bin kein Mathematiker.
Ich weiß nicht genau, was Du mit "Polynoumwandeln" meinst. Üblich ist
folgendes:

Man kann ein Polynom mit Hilfe der Nulstellen in (komplexe)
Linearfaktoren zerlegen:

P(x)=a_nx^n+a_(n-1)x^(n-1) + ... + a0
=a_n(x-x1)*(x-x2)*(x-x3)*...*(x-x_n)

Sind die Koeffizienten des Polynomas reell, dann sind die Nullstelle
- wie Du schon bemerktest - reell oder paarweise konjugiert komplex.

Ist zum Beispiel x2 das konjugiert Komplexe von x1, dann ist
(x-x1)*(x-x)=x^2+bx+c ein reelles quadratisches Polynom.

Somit: Jedes Polynom mit reellwertigen Koeffizienten kann in rellwertige
Linearfaktoren und quadratische Faktoren zerlegt werden.

Wenn ich Deine Frage mal so interpretiere: ...

Kann man die quadratischen
Faktoren x^2+bx+c ohne die Kenntnis der Nulsstellen x1 und x2 ermitteln?

... dann lautet die Anwort: Im Allgemeinen: Nein!

Für Polynpme 2., 3. und 4. Grades gibt es Formeln zur Bestimmung der
Nullstellen
( siehe: http://delphi.zsg-rottenburg.de/cardano.html#card ),

Für Polynome höheren Grades nicht mehr. Würde nämlich Deine Frage mit
"ja" beantwortet, hätte man auch für Polynome höheren Grades eine Formel.

Man ist dann also auf numerische Verfahren angewiesen. Dort finden
sich auch Abhandlungen, effizient die quadratischen Faktoren numerisch
zu ermitteln. Aber das ist ein Kapitel für sich.

MFG Joachim
--
Joachim Mohr Tübingen
http://www.joachimmohr.de Dort auch Programmen und Lektionen zu
Delphi, Mathematik und Musik (mitteltönig).
Jan Fricke
2007-06-13 07:46:49 UTC
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Post by Jürgen Will
Hallo,
gegeben sei ein beliebiges reelles Polynom P(z) mit reellen Koeffizienten
und
komplexen Argumenten z.
Nun ist, wenn eine Nullstelle nicht reell, aber komplex ist, auch die
Konjugiert Komplexe eine Nullstelle.
Gibt es ein Verfahren, mit dem man, ohne die Polynomgleichung P(z) =0 lösen
zu müssen, P(z) in ein, gegebenenfalls komplexes, Polynom, das nur die
konjugiert komplexen Nullstellen von P(z) als Nullstellen hat, umwandeln
kann?
Nein, nicht wirklich.
Nehmen wir mal an, P hat genau eine reelle Nullstelle und k Paare von
komplexen Nullstellen. Wenn wir jetzt aus P ein Polynom Q erhalten, das
nur die komplexen Nullstellen enthält, dann würden wir durch
Polynomdivision sofort die reelle Nullstelle berechnen können.
Du siehst also, dass in diesem Falle das Finden der reellen Nullstelle
gleichwertig zum Finden des gesuchten Polynoms ist.

Andererseits kann man die Anzahl der reellen Nullstellen recht einfach
bestimmen (z.B. mit der Sturmschen Kette). Dann könnte man numerisch die
reellen Nullstellen bestimmen (..aber das wolltest Du ja umgehen), vom
Polynom abspalten, und das entsprechende Restpolynom enthält dann genau
die komplexen Nullstellen.
Post by Jürgen Will
Bin kein Mathematiker.
Wir helfen immer gern. Frag ruhig noch mal nach, oder schildere den
Hintergrund Deiner Frage.


Viele Grüße Jan
Jürgen Will
2007-06-13 17:19:13 UTC
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Post by Jan Fricke
Du siehst also, dass in diesem Falle das Finden der reellen Nullstelle
gleichwertig zum Finden des gesuchten Polynoms ist.
Läßt sich also aus dem Satz von Abel folgern, daß man im allgemeinen Fall
kein solches Polynom finden kann?
Post by Jan Fricke
Andererseits kann man die Anzahl der reellen Nullstellen recht einfach
bestimmen (z.B. mit der Sturmschen Kette).
Ist bekannt.
(..aber das wollte ich ja umgehen)
Jan Fricke
2007-06-13 17:13:55 UTC
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Post by Jürgen Will
Post by Jan Fricke
Du siehst also, dass in diesem Falle das Finden der reellen Nullstelle
gleichwertig zum Finden des gesuchten Polynoms ist.
Läßt sich also aus dem Satz von Abel folgern, daß man im allgemeinen Fall
kein solches Polynom finden kann?
Ich sage mal ein vorsichtiges "ja". Falls es ein irreduzibles, nicht
auflösbares Polynom mit genau einer reellen Nullstelle gibt (das wäre
jetzt noch zu zeigen), dann folgt aus dem Satz von Abel, dass man die
gewünschte Zerlegung nicht mit Radikalen darstellen kann.

Da fällt mir noch eine andere Frage ein, aber da mache ich besser einen
neuen Thread auf.


Viele Grüße Jan
Jürgen Will
2007-06-13 18:01:11 UTC
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Post by Jan Fricke
Post by Jürgen Will
Läßt sich also aus dem Satz von Abel folgern, daß man im allgemeinen Fall
kein solches Polynom finden kann?
Ich sage mal ein vorsichtiges "ja". Falls es ein irreduzibles, nicht
auflösbares Polynom mit genau einer reellen Nullstelle gibt (das wäre
jetzt noch zu zeigen), dann folgt aus dem Satz von Abel, dass man die
gewünschte Zerlegung nicht mit Radikalen darstellen kann.
Ich nehme an, Deine Folgerung bezieht sich auf den Satz, daß, wenn (im
allgemeinen Fall) eine Nullstelle durch Radikale darstellbar ist, auch alle
anderen Nullstellen durch Radikale darstellbar sind?
Sollte die Folgerung der Unmöglichkeit der Zerlegung mit Radikalen (im
allgemeinen Fall) dann aber nicht für alle Typen von Polynomen gelten, nicht
nur für die mit genau einer reellen Nullstelle?

Da fällt mir folgendes ein. Der "Unmöglichkeitsbeweis" von Abel triftt doch
lediglich eine Aussage über die Unmöglichkeit der Lösung einer
Polynomgleichung. Nun ist die Umwandlung eines Polynoms in ein komplexes
Polynom aber nicht gleichbedeutend mit der Lösung der Nullstellengleichung,
denn wenn ich das gewünschte komplexe Polynom habe, kann es immernoch
unauflösbar sein.
Andererseits ist der Grad des komplexen Polynoms, das nur jeweils die
konjugiert komplexen Teile der komplexen Paare als Nullstellen hat,
niedriger als der Grad des Ursprungspolynoms. Aber ich glaube, gerade auch
das ist nach dem "Unmöglichkeitssatz" von Abel im allgemeinen Fall mit
Radikalen nicht möglich, oder?

Übrigens, wie ist der mathematische Fachbegriff für eine nicht-reelle
komplexe Zahl? Und wie ist der für z1 = (a+b*i), wenn z2 = (a-b*i) die
Konjugiert Komplexe von z1 ist?
Christopher Creutzig
2007-06-13 18:59:24 UTC
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Post by Jan Fricke
Ich sage mal ein vorsichtiges "ja". Falls es ein irreduzibles, nicht
auflösbares Polynom mit genau einer reellen Nullstelle gibt (das wäre
jetzt noch zu zeigen), dann folgt aus dem Satz von Abel, dass man die
gewünschte Zerlegung nicht mit Radikalen darstellen kann.
Ich habe die nicht-Auflösbarkeit nicht in letzter Konsequenz geprüft
(ich muss gestehen, ich habe die Rechenkriterien vergessen), aber
erfüllt 448*x^5 - 8*x^4 -905*x^3 - 535*x^2 + 747*x - 245 Deine
Anforderungen? Irreduzibel ist es auf jeden Fall, mit genau einer
reellen Nullstelle, zwischen 150/100 und 151/100.
--
"Mangel an Beweisen" wirkt in Mathe nicht strafmildernd!
Rainer Rosenthal, d.s.m
Jürgen Will
2007-06-13 20:46:10 UTC
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Ein wie beschrieben vorgegebenes reelles Polynom P(z) komplexer Argumente z
mit reellen Koeffizienten habe die nicht-reellen komplexen Nullstellen z1 =
a1+b1*i, z1* = a1-b1*i, z2 = a2+b2*i, z2* = a2-b2*i und die reellen
Nullstellen c1, c2, ... Kann man nun für beliebige Polynome P(z) das
komplexe Polynom, das genau die Nullstellen von P(z) z1, z2, ... oder genau
die Nullstellen von P(z) z1*, z2*, ..., evtl. auch mit genau den reellen
Nullstellen von P(z) c1, c2, ... als Nullstellen hat, ermitteln?
Wenn ja, wie könnte man das bewerkstelligen?
Jürgen Will
2007-06-13 21:06:57 UTC
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Post by Christopher Creutzig
Post by Jan Fricke
Falls es ein irreduzibles, nicht
auflösbares Polynom mit genau einer reellen Nullstelle gibt (das wäre
jetzt noch zu zeigen), dann folgt aus dem Satz von Abel, dass man die
gewünschte Zerlegung nicht mit Radikalen darstellen kann
erfüllt 448*x^5 - 8*x^4 -905*x^3 - 535*x^2 + 747*x - 245 Deine
Anforderungen? Irreduzibel ist es auf jeden Fall, mit genau einer
reellen Nullstelle, zwischen 150/100 und 151/100.
Ah, jetzt scheint's zu dämmern. Jan Fricke hatte nicht gemeint "Falls ein
irreduzibles, nicht auflösbares Polynom mit genau einer reellen Nullstelle
gegeben ist", sondern "Falls ein irreduzibles, nicht auflösbares Polynom mit
genau einer reellen Nullstelle existiert (das wäre jetzt noch zu zeigen)".
Interessant. Ist das ein für Algebraiker neuer Ansatz?
Jan Fricke
2007-06-14 07:33:50 UTC
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Post by Jürgen Will
Ah, jetzt scheint's zu dämmern. Jan Fricke hatte nicht gemeint "Falls ein
irreduzibles, nicht auflösbares Polynom mit genau einer reellen Nullstelle
gegeben ist", sondern "Falls ein irreduzibles, nicht auflösbares Polynom mit
genau einer reellen Nullstelle existiert (das wäre jetzt noch zu zeigen)".
Interessant. Ist das ein für Algebraiker neuer Ansatz?
Nein, das ist ein allgemeines Prinzip. Wenn ich nachweisen will, dass es
für ein bestimmtes Problem keinen Algorithmus gibt, dann wird das oft
indirekt gemacht. Das heisst, man nimmt an, dass es so einen Algorithmus
gibt, und konstruiert dann eine Situation, in der der Algorithmus nicht
funktionieren kann.

Auch der Satz von Abel ist so etwas. Es gibt irreduzible Polynome vom
Grad > 5, die man durch Radikale auflösen kann (z.B. das berühmte
x^16+x^15+...+x^2+x+1,
das man zur Konstruktion des regulären 17-Ecks benötigt), aber es gibt
welche, die man nicht auflösen kann. Und daraus folgt, dass es keinen
_allgemein_ gültigen Auflösungsalgorithmus geben kann.

Dieses Prinzip kann man jetzt auf Deine Frage anwenden: Angenommen, es
gibt einen Algorithmus, der nur Radikale benutzt und ein Polynom P in
das Produkt der Polynome R und K zerlegt, die genau die reellen bzw.
nicht-reellen Nullstellen enthalten. Wenden wir diesen Algorithmus auf
das von Christopher angegebene Polynom an, dann müssen wir R=x-x_1
erhalten, wobei x_1 die reelle Nullstelle ist. Der Algorithmus liefert
uns also die genaue Nullstelle. Andererseits lassen sich die Nullstellen
dieses Polynoms nicht durch Radikale auflösen (weil die Galois-Gruppe
nicht auflösbar ist), und so erhält man einen Widerspruch. Der
Algorithmus funktioniert für _dieses_ Polynom nicht, also kann er nicht
_allgemeingültig_ sein.


Viele Grüße Jan
Jürgen Will
2007-06-14 17:36:19 UTC
Permalink
Post by Jan Fricke
Dieses Prinzip kann man jetzt auf Deine Frage anwenden: Angenommen, es
gibt einen Algorithmus, der nur Radikale benutzt und ein Polynom P in
das Produkt der Polynome R und K zerlegt, die genau die reellen bzw.
nicht-reellen Nullstellen enthalten.
Hm, aber ich will ja nicht in ein Produkt zerlegen, sondern nur in ein
Polynom umwandeln, das die gewünschten Nullstellen implizit enthält. Die
Nullstellengleichung dieses neuen Polynoms ist dann im allgemeinen Fall
natürlich auch nicht auflösbar.
Ich will doch eigentlich nur eine andere Darstellung für das Polynom. Und
wenn diese im allgemeinen Fall nicht auflösbar ist, dann dürfte der Satz von
Abel kein Hindernis für die Existenz einer solchen Darstellung sein. Mehr
Sorgen macht mir da der wahrscheinlich niedrigere Grad des neuen komplexen
Polynoms.
Jan Fricke
2007-06-14 17:45:02 UTC
Permalink
Post by Jürgen Will
Hm, aber ich will ja nicht in ein Produkt zerlegen, sondern nur in ein
Polynom umwandeln, das die gewünschten Nullstellen implizit enthält.
Das ist aber das gleiche: Wenn ich zwei Polynome habe, dann bekomme ich
mit dem Euklidischen Algorithmus ein neues Polynom, was genau die
gemeinsamen Nullstellen enthält.

Wenn ich also zu einem Polynom P ein neues Polynom konstruiere, das die
reellen Nullstellen von P enthält, aber nicht die nicht-reellen, dann
kann ich daraus sofort das Polynom konstruieren, das _genau_ die reellen
Nullstellen von P hat. Damit hat man dann die gewünschte Faktorisierung.


Viele Grüße Jan
Jürgen Will
2007-06-17 17:32:59 UTC
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"Jan Fricke" <***@math.uni-jena.de> schrieb im Newsbeitrag news:f4rur4$i2u$***@lc03.rz.uni-jena.de...
Alles klar.
Allen vielen Dank!

Jan Fricke
2007-06-14 07:29:13 UTC
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Post by Christopher Creutzig
Post by Jan Fricke
Ich sage mal ein vorsichtiges "ja". Falls es ein irreduzibles, nicht
auflösbares Polynom mit genau einer reellen Nullstelle gibt (das wäre
jetzt noch zu zeigen), dann folgt aus dem Satz von Abel, dass man die
gewünschte Zerlegung nicht mit Radikalen darstellen kann.
Ich habe die nicht-Auflösbarkeit nicht in letzter Konsequenz geprüft
(ich muss gestehen, ich habe die Rechenkriterien vergessen), aber
erfüllt 448*x^5 - 8*x^4 -905*x^3 - 535*x^2 + 747*x - 245 Deine
Anforderungen? Irreduzibel ist es auf jeden Fall, mit genau einer
reellen Nullstelle, zwischen 150/100 und 151/100.
Ich hab's mit PARI geprüft:

? polgalois(448*x^5 - 8*x^4 -905*x^3 - 535*x^2 + 747*x - 245)
%1 = [120, -1, 1, "S5"]
? polsturm(448*x^5 - 8*x^4 -905*x^3 - 535*x^2 + 747*x - 245)
%2 = 1
?

Die Galois-Gruppe ist also die S_5 (nicht auflösbar), und es gibt genau
eine reelle Nullstelle.

Viele Grüße Jan
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