On 17.02.2005 21:18, Gottfried von Korinth wrote:
Vorsicht! Längere Antwort. ;)
Gottfried,
Post by Gottfried von KorinthPost by Jannick Asmus@Gottfried: Danke, ich antworte gerne selbst auf Fragen, die an mich
gerichtet sind.
Das ist eine öffentliche NG und jeder darf auf jede Frage antworten. Wenn
der OP mehrere Antworten erhält, ist das meistens hilfreich. Außerdem kann
ich Fehler machen, die dann berichtigt werden.
Post by Jannick Asmus@Gottfried: ... und ich glaube, dass Andreas durchaus in der Lage ist,
sich an diese Geschichten jetzt heranzutrauen. Ich für meinen Teil
versuche zu unterstützen, wenn jemand Interesse an mehr hat und dies
auch beherzt zeigt - so wie Andreas im ersten Semester.
Ist der Satz 'Das verstehst Du schon noch, wenn Du grösser bist.'
didaktisch ok? Ich finde: Nein.
Doch. Es ist eine Sache des Einfühlungsvermögens. Manche Dinge erfordern
eine erhebliche mathematische Reife, auch wenn sie scheinbar einfach sind.
Das ist z.T. der Grund, warum den Studenten oft die LA größere
Schwierigkeiten macht als die Analysis, obwohl die mathematische Substanz
der Analysis viel größer ist.
Du glaubst, es genüge, daß man dem OP die Dinge logisch entwickelt. Dann
wird er das verstehen. Ich habe das als junger Lehrer auch geglaubt. Aber
es ist nicht so.
Dann haben wir unterschiedliche Ansätze und Erfahrungen: Ich für meinen
Teil nehme jeden Menschen ernst - egal, ob dieser Mensch 3, 21 oder 56
Jahre alt ist. Ich spreche mit allen Menschen im wesentlichen gleich.
Ich versuche auf jeden im Gespräch zuzugehen - und zwar in dem Masse,
wie dies mir persönlich nach meinen Fähigkeiten möglich ist.
Der Satz 'Du bist noch klein, das wirst Du schon später verstehen.'
nimmt den Fragenden nicht ernst, sondern erzieht ihn eher dazu, nicht
mehr zu fragen. Das ist nicht das, was ich von Didaktik und Förderung
verstehe. Vielmehr gibt ihm dieses Vorgehen virtuelle Grenzen vor, die
aber aus der Vorstellung seines Gegenübers entspringen. Und diese müssen
nicht seine Grenzen sein.
Kurz: Ein Schüler kann einem Lehrer durchaus dessen Grenzen (also die
des Lehrers) zeigen. Wenn der nun reagiert mit seinem
Ich-weiss-jetzt-nicht-mehr-weiter-Mantra, werden Talente nicht nur nicht
erkannt, sondern sie können auch verschüttet werden. Anstatt
_angemessener_ *Förderung* wird entstehende Neugierde im Keim erstickt.
Das Einfühlungsvermögen des Informierenden setzt auch an diesem Punkt
an: es muss sich nicht nur auf den Interessierten konzentrieren, sondern
auch sich hinterfragen.
Man kann Dinge sehr unterschiedlich darstellen. Man kann Dinge
systematisch entwickeln (Du nennst dies 'logisch'); so wird es an der
Uni gehandhabt. Bei Schülern kann man anwenden: eine Mischung aus der
klaren Darstellung (unter systematischen Anwendung und Entwicklung
mathematischer Sprache) und 'Deiner' Methode, gewisse Regeln vorzugeben
und darauf hoffen, dass der Schüler durch das Durchrechnen von sehr
vielen Beispielen Regelmässigkeiten mehr und mehr erkennt. So mache ich
es bei Schülern.
Ich wählte nun in den Beiträgen an den OP derjenigen beiden Threads, in
denen ich mit Dir nicht einer fachlichen Meinung war, die erste Methode
- und zwar in klarem Bewusstsein, dass dies wohl möglich _leicht_ über
dem Niveau des OP lag.
Ich stimme Dir in dem Punkt zu, dass Mathematik Zeit braucht. Sehr viel
Zeit. Bei dem Einen weniger, bei dem Anderen mehr. Aber nichtsdestotrotz
sehr lange, insbesondere wenn es um Reine Mathematik geht. Ich erwarte
dabei nicht, dass meine Beiträge an den OP sofort in vollem Umfang von
ihm verstanden werden. Was ich aber hoffe ist, dass das Aufzeigen von
einer klaren Methodik und der Gebrauch einer stringenten
Begrifflichkeit für einen interessierten und äusserst wackeren
Studenten -wie es die beiden OPs in den ersten Semestern ihres Studiums
ohne Zweifel sind!- fördernd wirkt: Er wird sich zu einem späteren
Zeitpunkt daran erinnern und dann diejenigen zusätzlichen
Mosaiksteinchen, die er noch nicht einordnen konnte, mehr
und mehr zu einem ganzen Bild zusammensetzen. Diese Methode wirkt.
Und in unserem Beispiel - und nun kommen persönliche Worte, die meine
Einschätzung darstellen - waren Deine Vorstellungen nicht ausreichend,
das Thema hinter der Frage des OP zu erfassen: Nämlich die Motivation
und der Umgang mit ko-/kontravarianten Tensoren auf der
Mannigfaltigkeit eines affinen Raumes [hier: R^n] in
Koordinatendarstellung. Diese Einschätzung über Dich hast auch Du
eingeräumt.
Post by Gottfried von KorinthNun hat der OP noch nichts über Dualitätstheorie gehört. Glaubst Du, daß Du
ihm dieses gewöhnnungsbedürftige Gebiet im Rahmen einiger Postings von
einigen Zeilen auch nur näher bringen kannst?
Außerdem ist das, was ich sagte, wahr. Man braucht seine Zeit. Und die
Wahrheit kann niemals didaktisch verkehrt sein.
Der OP studiert nicht reine Mathematik. Er hat die Grundbegriffe der LA
gerade erworben und ist in ihrem Gebrauch noch recht unsicher. Wir sehen,
Der OP studiert Physik, wie er selbst äusserte und ohne Weiteres an
seiner Nomenklatur erkenntlich ist. Ich vermutete, dass er eine
Einführung in die Theoretische Physik im ersten oder zweiten Semester hört.
Er bat um klärende Trennung von Objekten, die auch für gestandene
Mathematiker nicht ganz einfach zu sein scheint. Das tat ich: Ich
erläuterte sie zunächst mit der Begrifflichkeit der Linearen Algebra.
Ich muss zugeben, dass mich Deine Einwände und Ergänzungen zu meinen
Bemerkungen an den OP störten; ganz und gar nicht weil es Einwände
waren, sondern vielmehr weil sie die (in dem Beispiel des R^n nur
nuancenhafte) Unterscheidung von 'Vektor' und 'Koordinatenvektor bzgl.
einer Basis' durch nebulöse Verwischung der klaren Nomenklatur mit einem
Streich zunichte machte.
In den an _Dich_ gerichteten Erklärungen der Sehweise, die Du als
'gekünstelt' bezeichet hast, wechselte ich die Abstraktionsebene und
nahm einen höheren konzeptionellen Standpunkt ein. Ich durfte zu meinem
Bedauern feststellen, dass diese Informationen nicht der Ebene der
Literatur entsprachen, die -wie Du sagst- Du selbst (an)gelesen hast.
Post by Gottfried von Korinthdaß er noch recht grundlegende Verständnisprobleme hat. Es ist nicht
sinnvoll, ihn durch eine Unmenge neuer Informationen zu überfordern. Man
kann ihm über Mathematik erzählen aber man darf sie ihm nicht entwickeln.
Wieso denn nicht? Er ist an der Uni, nicht an der Schule. Wie hast Du
Dich auf Deinen Informationsstand gebracht? Es ist wichtig, Anreize zu
erhalten, um Talente zu fördern. Und zwar angemessen. Darum geht es mir,
denn so habe ich auch gelernt - und nicht nur Mathematik. Die
Sensibilisierung für die Unterscheidung von nur scheinbar
ununterscheidbaren Begriffen wird nicht erreicht, indem man zunächst
deren Gleichheit annimmt. Dies ist dann nicht angemessen, wenn die
Hauptfrage des OP genau auf eine ihn verwirrende Unterscheidung von
Objekten abzielt, die exisitert, er aber nur erahnt und für ihn nur
schwierig in voller Klarheit zu sehen ist.
Post by Gottfried von KorinthAber seine Probleme werden sich legen. Laß ihm etwas Zeit.
Danke für Deinen Tipp. Im Gegenzug mein Tipp an Dich: Gib Deinem
Einfühlungsvermögen Raum, sich auf alle Beteiligten, auf Dich selbst und
auf die Grenzen aller zu richten.
Abschliessend möchte ich besonders hervorheben und betonen, dass Du in
jedem Fall zu den äusserst rühmlichen Ausnahmen der wenigen
Mathematik-Lehrer in Deutschland gehörst, die versuchen, sich mit
Mathematik weit über Kurvendiskussion von Polynomen hinaus zu beschäftigen.
Ich stehe gerne für Diskussion und angemessene Auseinandersetzung
zur Verfügung - auch gerne per Email.
J.
p.s.: Gottfried = KarlMüller = jb ?