Post by Martin VaethPost by WMPost by Martin VaethNein, es folgt aus der _Definition_ von R. Diese Definition (also eine der
o.g. aequivalenten) setzt man natuerlich voraus, wenn man Aussagen
ueber R macht.
Wer ist denn Ihr "man"
Zumindest seit vielen Jahrzehnten jeder serioese Mathematiker in
normaler Konversation, wenn er nicht ausdruecklich klar gemacht
hat, dass er unter R etwas anderes verstehen will.
Insbesondere natuerlich jedes gute Lehrbuch.
Alle guten Lehrbücher die ich kenne, gehen über die normale
Konversation weit hinaus und definieren |R mit Hilfe von Axiomen.
Post by Martin VaethPost by WMund wie definiert er oder sie |R ohne dies auf
Axiome zu stützen?
Wie frueher erwaehnt, und wie in jedem guten elementaren Lehrbuch
nachzulesen ist;
Ein meines Erachtens sehr gutes und aktuelles "Lehrbuch" ist die
Springer Online Enzyklopädie
http://eom.springer.de/R/r080060.htm
Dort werden die reellen Zahlen folgendermaßen eingeführt:
Real numbers form a non-empty totality of elements which contains more
than one element and displays the following properties. Und dann
folgen die Axiome, die man als nicht moderner Mathematiker benötigt,
um die reellen Zahlen zu definieren.
Aber auch das Lexikon der Mathematik (von Spektrum) scheint die
axiomatische Methode der rein konversiven vorzuziehen. Unter dem
Stichwort reellen Zahlen findet man dort: reelle Zahlen, Ergebnis der
Erweiterung des archimedischen Körpers Q der rationalen Zahlen zu
einem vollständigen archimedischen Körper R. Dieser Erweiterung kann
etwa mit Hilfe von Cauchy-Folgen, von Dedekind-Schnitten oder von
Intervallschachtelungen durchgeführt werden.
Es scheint also eines der von mir genannten Axiome nötig zu sein.
Und schließlich gibt es ein ganz modernes Lehrbuch (vom November 2008,
also noch druckfrisch) dort wird nach der Einführung der rationalen
Zahlen gesagt: "Die reellen Zahlen können mit Hilfe des Dedekindschen
Schnittaxioms auf den rationalen
Zahlen definiert werden. Es seien A und B zwei Mengen mit den
folgenden Eigenschaften ..."
Nun diese Eigenschaften sind wahrscheinlich auch einem Mengenlehrer
noch bekannt.
Post by Martin Vaethbeispielsweise als Menge der Dedekind-Schnitte.
Eine solche Definition benutzt ihrem Wesen nach keinerlei Axiome,
Ähem. Die Menge der Dedekind-Schnitte ergibt sich so ganz en passant
ohne das Dedekindsche Schnittaxiom?
Post by Martin Vaethnur die formale Sprache der Mengenlehre.
Ich verstehe, Sie benutzen eine Sprache - ohne Inhalt zwar, aber mit
Form. Ja, diesen Eindruck habe ich von der modernen Mengenlehre schon
des Längeren.
Post by Martin VaethNatuerlich _kann_ man auch eine Definition waehlen, in der man
Axiome benutzt (beispielsweise, wenn man R als vollstaendigen
totalgeordneten Koerper definiert).
Aber die genaue Art der Definition tut eben nichts zur Sache,
In jedem Fall ist es ein beweisbarer _Satz_, dass R vollstaendig ist.
Das ist falsch. Ohne eine Definition, welche die Vollständigkeit
axiomatisch voraussetzt, kann die Vollständigkeit nicht bewiesen
werden, schon deswegen nicht, weil sie in Wirklichkeit nicht vorhanden
ist. (Das was eigentlich der ursprüngliche Grund meiner Frage. Nur
Ihre windige "Konversation" hat davon etwas abgelenkt.)
Nun folgt also das Thema, das ich eigentlich ansprechen wollte:
Ich schreibe in meinem Buch (es ist das oben zitierte):
http://www.oldenbourg-wissenschaftsverlag.de/olb/de/1.c.1598342.de?hasjs=1227370886&submittedByForm=1&_lang=de&gsid=1.c.325875.de&id=1598342
"Mit der Endlichkeit einer jeden Menge ist auch die Menge aller
Ziffern einer Zahl endlich. Die meistens stillschweigend angenommene
Voraussetzung, dass jede reelle Zahl „beliebig genau“ approximierbar
sei, gilt nicht uneingeschränkt – die Zahlenachse weist Lücken auf;
die Stetigkeitsannahme, der Konvergenzbegriff und andere Grundpfeiler
der Infinitesimalrechnung werden problematisch; schon der
Zwischenwertsatz oder der Fundamentalsatz der Algebra „leiden
Ausnahmen“.
Das kann niemand ändern! Die Mathematik steht nicht außerhalb der
Wirklichkeit. Es hilft wenig, die Existenz aktual unendlicher Mengen
axiomatisch zu fordern und so die Vollständigkeit der reellen Zahlen
zu „beweisen“. Damit behebt man den Mangel ebenso wenig, wie ein
Kaufmann seine Bilanz durch Anhängen einiger Nullen aufbessern kann –
wie Immanuel Kant in einem ähnlichen Zusammenhang feststellte [8]. Das
wirklich zugängliche „Kontinuum“ besitzt eine körnige Struktur."
Nun hat mir ein Kollege Inkonsequenz vorgeworfen, weil er Folgendes
gefunden hat:
"Satz: Jede beschränkte Folge enthält eine konvergente Teilfolge."
in Verbindung mit der Aussage
"In den reellen Zahlen besitzt jede Cauchy-Folge einen Grenzwert. In
den rationalen Zahlen ist dies nicht der Fall."
Das letzte Zitat macht _keine_ Aussage über die Vollständigkeit der
reellen Zahlen! Allerdings scheint es manchen Mathematikern nicht zu
gelingen, nur das zu lesen, was geschrieben steht. Sie interpretieren
gern das, was sie einst gelernt haben, mit hinein.
Dort steht, zwar dass _jede_ Cauchy-Folge einen Grenzwert besitzt.
Dort steht aber _nicht_, dass es für überabzählbar viele reelle Zahlen
Cauchy-Folgen überhaupt gibt! Deswegen hat dieser Satz auch nichts mit
Vollständigkeit zu tun. Aber das kann man wahrscheinlich nur solchen
Mathematikern vermitteln, deren Denkapparat noch frisch und nicht so
eingefahren ist, wie bei dem Zitierten.
Zum Grenzwert bleibt noch zu sagen, dass auch er nur aufgrund des FAPP-
Argumentes existiert, das sehr schön von Robinson formuliert wurde: Es
gibt keine unendlichen Mengen, aber wir dürfen so tun, als gäbe es
sie. Die genaue Formulierung dieses Satzes finden Sie
selbstverständlich auch in meinem Buch, sogar im kostenlos
zugänglichen Teil des Vorwortes:
http://www.hs-augsburg.de/~mueckenh/P5%20Zusfass.pdf
Gruß, WM