Discussion:
f differenzierbar, f' nirgends stetig?
(zu alt für eine Antwort)
Thorsten Raasch
2004-02-09 10:39:28 UTC
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Hallo,

kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine differenzierbare Funktion f:[a,b]->R,
deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
Ein Beispiel für eine diff'bare Funktion, deren Ableitung an _einem_ Punkt
nicht stetig ist, sieht ja so aus:

f(x)= x^{1+a}sin(1/x), für x!=0, und sonst gleich 0,

für einen Parameter 0<a<1. Die Ableitung für x!=0 strebt dann gegen +- Unendlich, wenn
x gegen 0 läuft, aber f'(0)=0.
Lässt sich daraus ein Beispiel für ein _nirgends_ stetiges f' basteln oder
ist das prinzipiell unmöglich?



Viele Grüße,
--
Thorsten Raasch

email: ***@mathematik.uni-marburg.de
homepage: http://www.mathematik.uni-marburg.de/~raasch
Martin Vaeth
2004-02-09 14:23:57 UTC
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Post by Thorsten Raasch
kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine
differenzierbare Funktion f:[a,b]->R, deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
So etwas gibt es nicht: Man kann f' (punktweise) als Grenzfunktion einer
Folge stetiger Funktionen schreiben (das ist mit Hilfe der Definition
der Ableitung nicht allzu schwer zu sehen).
Die Menge der Unstetigkeitspunkte einer solchen Grenzfunktion ist stets von
1. Kategorie - das ist nicht ganz so leicht zu sehen, aber der Beweis
ist in zahlreichen Büchern zu finden. Nach dem berühmten Baireschen
Kategoriensatz kann diese Menge also kein Intervall enthalten
(und insbesondere nicht gleich [a,b] sein).
Johannes Rohe
2004-02-09 14:24:42 UTC
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Post by Thorsten Raasch
kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine differenzierbare
Funktion f:[a,b]->R, deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
Ein Beispiel für eine diff'bare Funktion, deren Ableitung an _einem_
f(x)= x^{1+a}sin(1/x), für x!=0, und sonst gleich 0,
Könnte man nicht von dieser Funktion ausgehend eine neue Funktion g
definieren, ungefähr so: Seien {p0,...,pn,...} die rationalen Zahlen in
[-1,1] und

g(x) = \sum_{n=1}^\infty f(x-pn)/2^n

f ist beschränkt, also ist die Konvergenz gleichmäßig, g ist also
stetig. Ich weiß aber gerade nicht, ob g auch diffbar ist, und wie man
das zeigen könnte. Wenn es aber diffbar ist, dann kann man Ableitung
und Summe vertauschen, und g' wäre in allen rationalen Punkten
unstetig. Das wäre doch schonmal was.
--
Gruß aus Karlsruhe,
Johannes Rohe
Thorsten Raasch
2004-02-09 14:48:33 UTC
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Post by Johannes Rohe
Post by Thorsten Raasch
kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine differenzierbare
Funktion f:[a,b]->R, deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
Ein Beispiel für eine diff'bare Funktion, deren Ableitung an _einem_
f(x)= x^{1+a}sin(1/x), für x!=0, und sonst gleich 0,
Könnte man nicht von dieser Funktion ausgehend eine neue Funktion g
definieren, ungefähr so: Seien {p0,...,pn,...} die rationalen Zahlen in
[-1,1] und
g(x) = \sum_{n=1}^\infty f(x-pn)/2^n
f ist beschränkt, also ist die Konvergenz gleichmäßig, g ist also
stetig. Ich weiß aber gerade nicht, ob g auch diffbar ist, und wie man
das zeigen könnte. Wenn es aber diffbar ist, dann kann man Ableitung
und Summe vertauschen, und g' wäre in allen rationalen Punkten
unstetig. Das wäre doch schonmal was.
Witzige Idee, stimmt! Aber für die Diff'barkeit von g bräuchte man so was
wie "gleichmäßige Diffbarkeit" von f, dann könnte man für kleines h die
Dreiecksungleichung

|(g(x+h)-g(x))/h-\sum_{n=1}^\infty f'(x-p_n)/2^n|
\le \sum_{n=1}^\infty |(f(x+h-p_n)-f(x-p_n))/h - f'(x-p_n)|/2^n

ausnutzen, oder?

Aber das Baire-Argument im zweiten Thread zieht wohl, habe allerdings noch
keine Literaturreferenz.

Das Problem ist übrigens für meine Ana I-Schützlinge gedacht...
Post by Johannes Rohe
Gruß aus Karlsruhe,
Johannes Rohe
Jau, besten Gruß aus Marburg zurück, ist ja putzig, dass Du auch die Newsgroups
verfolgst!


Bis bald mal,
Thorsten
Christopher Creutzig
2004-02-09 16:44:56 UTC
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Post by Thorsten Raasch
Post by Johannes Rohe
das zeigen könnte. Wenn es aber diffbar ist, dann kann man Ableitung
und Summe vertauschen, und g' wäre in allen rationalen Punkten
unstetig. Das wäre doch schonmal was.
Aber das Baire-Argument im zweiten Thread zieht wohl, habe allerdings noch
keine Literaturreferenz.
Sind die rationalen Zahlen nicht eine Menge 1. Kategorie?
--
+--+
+--+|
|+-|+ Christopher Creutzig (***@mupad.de)
+--+ Tel.: 05251-60-5525
Thorsten Raasch
2004-02-09 17:05:17 UTC
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Post by Christopher Creutzig
Post by Thorsten Raasch
Post by Johannes Rohe
das zeigen könnte. Wenn es aber diffbar ist, dann kann man Ableitung
und Summe vertauschen, und g' wäre in allen rationalen Punkten
unstetig. Das wäre doch schonmal was.
Aber das Baire-Argument im zweiten Thread zieht wohl, habe allerdings noch
keine Literaturreferenz.
Sind die rationalen Zahlen nicht eine Menge 1. Kategorie?
Ja, schon. Aber es gilt halt "Die Menge aller Stetigkeitsstellen eines
punktweisen Limes stetiger Funktionen ist eine Menge 2. Kategorie, also per
definitionem dicht.




Thorsten
Martin Vaeth
2004-02-09 20:38:22 UTC
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Post by Thorsten Raasch
Post by Christopher Creutzig
Sind die rationalen Zahlen nicht eine Menge 1. Kategorie?
Ja, schon. Aber es gilt halt "Die Menge aller Stetigkeitsstellen eines
punktweisen Limes stetiger Funktionen ist eine Menge 2. Kategorie,
also per definitionem dicht.
Jein: Eine Menge 2. Kategorie muss keineswegs dicht liegen (jedes noch
so kleine Intervall ist bereits von 2. Kategorie).
Die obige Menge (der Stetigkeitsstellen) ist aber sogar ko-mager,
also *Komplement* einer Menge 1. Kategorie. Und eine solche Menge
liegt dicht (nicht per definitionem sondern nach Baire).
Thorsten Raasch
2004-02-10 08:39:23 UTC
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Post by Martin Vaeth
Post by Thorsten Raasch
Post by Christopher Creutzig
Sind die rationalen Zahlen nicht eine Menge 1. Kategorie?
Ja, schon. Aber es gilt halt "Die Menge aller Stetigkeitsstellen eines
punktweisen Limes stetiger Funktionen ist eine Menge 2. Kategorie,
also per definitionem dicht.
Jein: Eine Menge 2. Kategorie muss keineswegs dicht liegen (jedes noch
so kleine Intervall ist bereits von 2. Kategorie).
Die obige Menge (der Stetigkeitsstellen) ist aber sogar ko-mager,
also *Komplement* einer Menge 1. Kategorie. Und eine solche Menge
liegt dicht (nicht per definitionem sondern nach Baire).
Ja, hast recht. Eine Menge 2. Kategorie ist halt "bloß" _nicht_ von 1.
Kategorie, und (noch) nicht ein Komplement einer Menge 1. Kategorie.
Da war ich etwas voreilig...


-
Thorsten Raasch

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Julian Vogel
2004-02-09 14:51:24 UTC
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Post by Thorsten Raasch
Hallo,
kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine differenzierbare Funktion f:[a,b]->R,
deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
Ein Beispiel für eine diff'bare Funktion, deren Ableitung an _einem_ Punkt
f(x)= x^{1+a}sin(1/x), für x!=0, und sonst gleich 0,
für einen Parameter 0<a<1. Die Ableitung für x!=0 strebt dann gegen +- Unendlich, wenn
x gegen 0 läuft, aber f'(0)=0.
Lässt sich daraus ein Beispiel für ein _nirgends_ stetiges f' basteln oder
ist das prinzipiell unmöglich?
Ich meine mich zu erinnern, dass die Ableitung einer Differenzierbaren
Funktion wenigens fast überall (im Lebuesgueschen Sinn) stetig ist.

Julian Vogel
Thorsten Raasch
2004-02-09 14:58:35 UTC
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Post by Julian Vogel
Ich meine mich zu erinnern, dass die Ableitung einer Differenzierbaren
Funktion wenigens fast überall (im Lebuesgueschen Sinn) stetig ist.
ehm, Differenzierbarkeit hat IMHO nichts mit Lebesgue zu tun, der Begriff
gehört in die Integrations-Kiste.
Das Argument aus einem der anderen Threads, dass f' punktweiser Limes einer Folge
stetiger Funktionen ist, und somit die Menge der Stetigkeitsstellen nach dem
Kategoriesatz von Baire immer von zweiter Kategorie ist, zeigt aber
definitiv (habs jetzt nachgeschlagen), dass die Ableitung einer auf ganz
[a,b] differenzierbaren Funktion fast überall stetig sein muss.


Danke für Eure Tipps!
--
Thorsten Raasch

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Felix Fontein
2004-02-09 23:05:40 UTC
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Hi,
Post by Thorsten Raasch
Post by Julian Vogel
Ich meine mich zu erinnern, dass die Ableitung einer Differenzierbaren
Funktion wenigens fast überall (im Lebuesgueschen Sinn) stetig ist.
ehm, Differenzierbarkeit hat IMHO nichts mit Lebesgue zu tun, der Begriff
gehört in die Integrations-Kiste.
Nur weil Lebesgue viel zur Integrationstheorie beigetragen hat, heisst das
nicht, das er nicht noch was anderes gemacht hat :)

Es gibt folgenden Satz von Lebesgue (wurde ohne Beweis in einer unserer
Vorlesungen zitiert):

Es sei f : [a, b] --> R eine Lipschitzstetige Funktion. Dann ist
f auf [a, b] mit Ausnahme hoechstens einer Menge von Mass 0
differenzierbar.

Ob es diesen Satz noch in anderen Varianten oder allgemeiner gibt weiss ich
allerdings nicht.

-felix
Thorsten Raasch
2004-02-10 08:47:47 UTC
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Post by Felix Fontein
Post by Thorsten Raasch
Post by Julian Vogel
Ich meine mich zu erinnern, dass die Ableitung einer Differenzierbaren
Funktion wenigens fast überall (im Lebuesgueschen Sinn) stetig ist.
ehm, Differenzierbarkeit hat IMHO nichts mit Lebesgue zu tun, der Begriff
gehört in die Integrations-Kiste.
Nur weil Lebesgue viel zur Integrationstheorie beigetragen hat, heisst das
nicht, das er nicht noch was anderes gemacht hat :)
Es gibt folgenden Satz von Lebesgue (wurde ohne Beweis in einer unserer
Es sei f : [a, b] --> R eine Lipschitzstetige Funktion. Dann ist
f auf [a, b] mit Ausnahme hoechstens einer Menge von Mass 0
differenzierbar.
Klar, ich wollte den guten alten Lebesgue nicht auf sein Integral
reduzieren. Aber "fast überall differenzierbar" brachte mir für das
ursprüngliche Problem halt nichts.
Post by Felix Fontein
Ob es diesen Satz noch in anderen Varianten oder allgemeiner gibt weiss ich
allerdings nicht.
Zumindest für absolutstetige Funktionen gilt er noch. Sei I mal ein
Intervall (lässt sich sicher für vollständige metrische Räume
verallgemeinern). f:I->K heisst absolutstetig genau dann, wenn zu jedem \epsilon>0 ein \delta>0
existiert, so dass für alle
a_1 < b_1 < a_2 < b_2 < ... < a_n < b_n
mit
\sum_{k=1}^n(b_k-a_k) < \delta
schon
\sum_{k=1}^n|f(b_k)-f(a_k)|<\epsilon
gilt. Lipschitzstetige Funktionen sind insbesondere absolutstetig.

Auf jeden Fall hat man für absolutstetige Funktionen noch folgendes:
1. f' existiert fast überall
2. f' ist über kompakten Mengen M\subset I integrierbar mit dem Hauptsatz
f(b)-f(a) = \int_a^b f'(s) d\lambda
mit Lebesguemaß \lambda.

Aber so viel allgemeiner ist das IMHO auch nicht, die absolutstetigen, nicht
Lipschitz-stetigen Funktionen sind wohl recht dünn gesät...
--
Thorsten Raasch

email: ***@mathematik.uni-marburg.de
homepage: http://www.mathematik.uni-marburg.de/~raasch
Hendrik van Hees
2004-02-09 15:26:56 UTC
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Post by Thorsten Raasch
Hallo,
kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine differenzierbare
Funktion f:[a,b]->R, deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
Ein Beispiel für eine diff'bare Funktion, deren Ableitung an _einem_
f(x)= x^{1+a}sin(1/x), für x!=0, und sonst gleich 0,
für einen Parameter 0<a<1. Die Ableitung für x!=0 strebt dann gegen +-
Unendlich, wenn x gegen 0 läuft, aber f'(0)=0.
Lässt sich daraus ein Beispiel für ein _nirgends_ stetiges f' basteln
oder ist das prinzipiell unmöglich?
Es gibt doch diese Monsterfunktionen, die Weierstraß zuerst konstruiert
hat. Die sind überall stetig, aber nirgends diffbar. Da sie stetig
sind, existiert für sie eine Stammfunktion (z.B. die Integralfunktion),
die genau die Eigenschaften hat, die Du suchst, oder?
--
Hendrik van Hees Cyclotron Institute
Phone: +1 979/845-1411 Texas A&M University
Fax: +1 979/845-1899 Cyclotron Institute, MS-3366
http://theory.gsi.de/~vanhees/ College Station, TX 77843-3366
Thomas Nordhaus
2004-02-09 16:58:10 UTC
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Post by Hendrik van Hees
Post by Thorsten Raasch
Hallo,
kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine differenzierbare
Funktion f:[a,b]->R, deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
Es gibt doch diese Monsterfunktionen, die Weierstraß zuerst konstruiert
hat. Die sind überall stetig, aber nirgends diffbar. Da sie stetig
sind, existiert für sie eine Stammfunktion (z.B. die Integralfunktion),
die genau die Eigenschaften hat, die Du suchst, oder?
Thomas Nordhaus
2004-02-09 17:01:16 UTC
Permalink
Post by Hendrik van Hees
Post by Thorsten Raasch
Hallo,
kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine differenzierbare
Funktion f:[a,b]->R, deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
Es gibt doch diese Monsterfunktionen, die Weierstraß zuerst konstruiert
hat. Die sind überall stetig, aber nirgends diffbar. Da sie stetig
sind, existiert für sie eine Stammfunktion (z.B. die Integralfunktion),
die genau die Eigenschaften hat, die Du suchst, oder?
Nein. Das wäre nur eine C1-Funktion, die nirgends differenzierbar ist.
Thomas
Thomas Nordhaus
2004-02-09 17:24:38 UTC
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Post by Thomas Nordhaus
Post by Hendrik van Hees
Post by Thorsten Raasch
Hallo,
kennt jemand von Euch ein einfaches Beispiel für eine differenzierbare
Funktion f:[a,b]->R, deren Ableitung NIRGENDS stetig ist?
Es gibt doch diese Monsterfunktionen, die Weierstraß zuerst konstruiert
hat. Die sind überall stetig, aber nirgends diffbar. Da sie stetig
sind, existiert für sie eine Stammfunktion (z.B. die Integralfunktion),
die genau die Eigenschaften hat, die Du suchst, oder?
Nein. Das wäre nur eine C1-Funktion, die nirgends differenzierbar ist.
Seufz. Eine C1-Funktion, deren Ableitung nirgends differenzierbar ist.
Thomas
Post by Thomas Nordhaus
Thomas
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